Hey, wie geht´s?
Ich glaube, ich habe mich hier noch nicht förmlich vorgestellt; ich bin Jens, Schinkens Angst.
Ich hatte das Gefühl, dass heute genau der richtige Tag wäre, damit ich euch mal ein bisschen etwas über mich erzählen kann - und auf mein Gefühl ist immer Verlass!
Schinken und ich kennen uns im Übrigen schon unser ganzes Leben lang, wir waren schon immer sehr eng. Schon seit unserem ersten Tag habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, auf sie aufzupassen...ich hatte nämlich direkt gemerkt, dass sie das nicht wirklich alleine auf die Reihe bekommt.
Immer, wenn sie auf einen hohen Baum klettern, in ein schnelles Karussell gehen oder mal ihre Meinung sagen wollte, habe ich sie lieber zurück gehalten. Ich meine ja nur, stellt euch mal vor, was alles bei sowas passieren kann?! Das habe ich ihr dann immer lieber noch mal ins Ohr geflüstert und zum Glück konnte sie sich das alles mit der Zeit merken.
2014 haben Schinken und ich uns aber erst so richtig kennen gelernt. Die ganzen 20 Jahre zuvor hat sie schon echt eine Menge Mist mitmachen müssen, das könnt ihr mir glauben, aber in diesem Jahr habe ich gemerkt, dass ich meinen entspannt geglaubten Job, der so im Hintergrund rumplänkelte wohl mal etwas ernster nehmen sollte. Wie schon oben geschrieben, wusste ich ja bereits von Anfang an, dass sie in ihrem Leben dringend Unterstützung von mir benötigt, aber zu dem Zeitpunkt hatte sie den Bogen wirklich überspannt.
Während der wichtigste Mensch in ihrem Leben, ihr Opa, im sterben lag hatte sie zusätzlich die glorreiche Idee, sich von ihrem langjährigen Freund zu trennen. Und natüürlich wollte dieser Dickkopf, auch, wenn sie nun alleine dar stand, in ihrer tollen Wohnung wohnen bleiben. Und was bedeutete das? Neben ihrer Ausbildung zur Erzieherin hatte sie 5 (!!!) Nebenjobs, um die Miete überhaupt zahlen zu können und jeden Sonntag ist sie auch noch zu ihren Großeltern gefahren, die ihr mit der Wäsche und Lebensmitteln geholfen haben.
...
Ihr könnt euch ja gar nicht vorstellen, wie sauer ich auf diese Trulla Schinken war, alter Schwede...
...
Ok, erstmal sammeln...mit "in´s Ohr flüstern" war es jetzt auf jeden Fall nicht mehr getan. Die Alte hat ja gar nichts mehr gemerkt. Also habe ich nicht lange überlegt und mich auf sie drauf gesetzt, mit all´ meiner Kraft habe ich jetzt versucht sie runter zu drücken, damit sie nichts mehr machen kann, um mal zur Ruhe zu kommen! Ich glaube, ich habe ihr dabei auch etwas die Luft abgedrückt und sehen konnte sie zwischendurch auch kaum noch was...vielleicht war es auch nicht die klügste Idee, das grade bei einer Autofahrt zu machen...aber so hat sie zumindest gemerkt, dass jetzt wirklich Schluss mit Lustig ist!!!
Es war mir dann aber auch wirklich egal, dass sie sauer auf mich war. Ich musste es einfach schaffen, dass sie wieder Rücksicht auf sich nimmt und das hat echt mega lange gebraucht. Auto fahren? Zur Arbeit gehen? Einkaufen? Tanzen oder sowas? Sie hat es echt alles versucht, obwohl ich mich soo schwer auf ihr gemacht habe...ich war so genervt, scheinbar musste ich ganz klein bei ihr anfangen, ansonsten checkt sie es ja wirklich nicht. Zum Briefkasten gehen? Auf einer Stelle stehen? Dem Postboten die Tür öffnen? Schon mal daran gedacht, dass du einfach tot umkippen könntest?! Der Boden, der hat aber auch eine heftige Anziehungskraft, wenn du dich nicht festhältst, dann schlägst du dir den Kopf an ihm auf...egal was du machst, du wirst auf jeden Fall sterben!!
Nachdem ich ihr das alles monatelang nicht ins Ohr geflüstert, sondern ins Gesicht geschrien habe, Tag und Nacht, hatte sie es dann endlich verstanden. Ich hatte mein Ziel erreicht. Ich, Jens, die größte Angst, die ihr euch nur vorstellen könnt! Endlich ist sie mal zu Hause geblieben und hat nichts mehr gemacht. Ich habe mich soo sehr gefreut!
Sie hatte aber auch wirklich Glück, muss ich dazu sagen, denn ihre Familie und ein Teil ihrer Freunde, haben sich bereit erklärt, mich zu akzeptieren und mich zu unterstützen. So konnte sie es sich unter anderem Leisten, bis zum Ende der Ausbildung keine Nebenjobs mehr ausrichten zu müssen, oder alleine einkaufen zu gehen.
Eigentlich war alles perfekt.
Eigentlich.
Irgendwie wurde Schinken aber immer komischer. Sie war eigentlich die ganze Zeit nur noch traurig, hat viel geweint und fing irgendwann an ziemlich doofe Sachen zu sagen. Irgendwann dann auch zu mir. Wir haben uns deswegen dann auch doll gestritten und ich muss zugeben, dass ich ihr dann auch gemeine Dinge gesagt habe, sowas wie "Du wirst für immer alleine bleiben, ich sorge dafür, dass dich alle hassen..du bist ja eh schon voll kacke und kannst nichts und guck mal erstmal in die Spiegel!!"
Die Situation zwischen uns hatte sich irgendwann wirklich zugespitzt und ich musste zugeben, dass ich es vielleicht ein kleines bisschen übertrieben hatte. Ich habe meinen Stolz beiseite geschoben und mich mal kurz zur Seite gestellt, damit sie wieder etwas schönes in ihrem Leben haben konnte. Katzen.
Endlich war sie wieder glücklich und das sogar, wegen etwas, was in ihrem sicheren Zu Hause war. Also ein Gewinn für uns beide.
Ich hatte gemerkt, dass ich, als ich sie vor der Welt beschützen wollte, ich meinen Job ein klein wenig zu ernst genommen habe...wobei das stimmt nicht ganz, ich glaube für eine Weile war das alles ganz gut für sie. Naja aber so auf Dauer (und das waren schon so 4-5 Jährchen), habe ich sie nicht nur vor den gefährlichen Dingen beschützt, sondern auch vor allen schönen, die sie so unbedingt wieder sehen können wollte.
Schinken hat es ja auch immer wieder versucht, wie zum Beispiel das Auto fahren, einkaufen und was weiß ich nicht alles und irgendwann habe ich damit angefangen, mich ein bisschen leichter auf ihr zu machen. Ich habe dann beobachtet, wie es so läuft und eigentlich, hat sie das ganz gut gemacht. Und so im Laufe der Zeit habe ich gemerkt, dass ich ihr nach und nach einige Sachen wieder zutrauen konnte. Manchmal war ich mir zwar nicht so ganz sicher und habe mich wieder eingemischt, aber im großen und ganzen habe ich wieder ein gutes Gefühl bekommen.
Versteht mich jetzt aber bloß nicht falsch, ich habe einmal gemerkt, dass ich nicht doll genug auf sie aufgepasst habe, das wird mir bestimmt nicht wieder passieren! Deswegen verfolge ich sie weiterhin auf Schritt und Tritt und flüstere ihr auch nach wie vor Tipps ins Ohr, das ist mir sehr wichtig! Aber ich bin kein Felsen mehr, der sich mit aller Kraft auf Schinken draufquetscht, sondern ein kleines Vögelchen, dass bequem und leicht auf ihrer Schulter sitzt.
Ich bin Jens, Schinkens Angst. Und das war meine Geschichte, bis jetzt.
Es hat mich sehr gefreut, euch kennen lernen zu dürfen!
XOXO